Hannah & Elisabeth – Begleitmaterial

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1 Das Theaterstück “Hannah & Elisabeth”

1898. Elisabeth will eine Vorlesung besuchen, wird jedoch als Frau abgewiesen.
2023. Hannah, promovierte Biologin und Journalistin, hat alle Möglichkeiten – theoretisch.
In der Bibliothek der Juristischen Fakultät treffen sie aufeinander. Eine Verständigung mit Hindernissen beginnt, aus der beide verändert in die Zeit zurückkehren, aus der sie gekommen sind. Dort hat jede ihren eigenen Kampf auszufechten …

Eine Publikation von Würzburg liest e.V. in Kooperation mit den Juristen Alumni Würzburg e.V. und pics4peace e.V.
Verlag Daniel Osthoff, Würzburg 2023
ISBN 978-3935998-28-4

Das Stück entstand anlässlich der Aktion “Würzburg liest ein Buch” 2023. Die Aufführungsrechte liegen bei den Autor:innen Ulrike Schäfer und Boris Wagner. Klassensätze für Schulen und Laientheatergruppen werden kostenlos abgegeben.
Kontakt: info@wuerzburg-liest.de

Hinweise zur Verwendung in der Schule

Natürlich bietet jedes Theaterstück die immer gegebenen vielfältigen Arbeitsmöglichkeiten zu allgemeinbildenden Inhalten der Fächer Geschichte / Sozialkunde/Soziallehre/Politik und Ethik, für das Fach Deutsch zudem die zahlreichen Ansätze des Literaturunterrichts. Darüber hinausgehende Lehrplanbezüge für Bayerische Schularten finden sich in Hannah & Elisabeth – Lehrplanbezüge.

3 Fakten und Fiktion

1898

Der Zugang zu Bildung und Berufen war ein zentrales Anliegen der sog. ersten Welle der Frauenbewegung. Historisches Ausgangsmaterial des Stücks ist die Situation in Würzburg um 1898, namentlich der Verein Frauenheil und die Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Elisabeth Dauthendey.

„Frauenheil“ ist einer von zahlreichen Vereinen, die deutschlandweit (und generell im euro-amerikanischen Raum ab Mitte des 19. Jahrhunderts) gegründet wurden. Dauthendey war Vereinsmitglied und Mitunterzeichnerin eines Antrags, Lehrerinnen zum Zwecke der Weiterbildung zu einer Kant-Vorlesung an der Universität zuzulassen. Damit ebnete der Verein den Weg zur allgemeinen Zulassung von Frauen zum Studium in Würzburg und letzt­lich in Bayern (siehe ausführlich Kap. 5).

Dieser historische Fall wird im Stück fiktional verdichtet. Elisabeth ist eine fiktive Figur, die sich biografische Fakten der realen Person Elisabeth Dauthendey leiht und stellvertretend für eine Aktivistin der damaligen Zeit steht. Viele Details gehen auf historische Fakten der Würzburger Ereignisse zurück. Das Stück weicht jedoch auch bewusst davon ab.

So will die Figur Elisabeth eine Jura-Vorlesung besuchen, um eine Arbeiterin, die entlassen worden ist, rechtlich beraten zu können. Dieses Szenario wurde aus zwei Gründen gewählt:

  • Die deutschen Frauenvereine leisteten neben ihrem bildungspolitischen Engagement – Zugang von Mädchen zu höherer Schulbildung und von Frauen zum Universitätsstudium – auch soziale Unterstützung und juristische Beratung für Arbeiterinnen und arme Frauen. Unter den frühen Juristinnen waren einige als rechtliche Beraterinnen in den Frauenvereinen tätig. Elisabeths Versuch, sich juristisch weiterzubilden, hat also eine historisch plausible Motivation, die über ihr persönliches Interesse hinausgeht.
  • Tatsächlich war der Zugang der Frauen zum Fach Jura am heftigsten umkämpft. Der Zugang zu juristischen Berufen wurde ihnen fast zwei Jahrzehnte länger verweigert als in anderen Bereichen (siehe Anmerkungen zu den Szenen: A1.4). Auch in Würzburg wehrten sich die Jura-Professoren am längsten gegen die Zulassung der Frauen zur Uni. Im Theaterstück wird dieser historische Hintergrund auf die direkte Auseinandersetzung zwischen Elisabeth und der fiktiven Figur des Juraprofessors Kerk zugespitzt. Ihr Schlagabtausch steht stellvertretend für die zahlreichen Gegner, mit denen die Frauen es zu tun hatten, und veranschaulicht, gegen welche (Schein-)Argumente und Widerstände diese zu kämpfen hatten.

2023

Die Figur Hannah ist fiktiv. Die Probleme, denen sie auf ihrer universitären Laufbahn und später als Journalistin begegnet, sind jedoch nicht rein individuell, sondern treten aufgrund struktureller Verhältnisse gehäuft auf. Einzelne Begebenheiten sind realen Fällen nach­empfunden. Belege dazu sind in den Anmerkungen zu den Szenen angegeben.

4 Anmerkungen zu den Szenen

Szene 1

(A1.1) S. 7 Elisabeth will eine juristische Vorlesung besuchen
Zur fiktiven Figur Elisabeth und der historischen Person Elisabeth Dauthendey siehe Kap. 3 Fakten und Fiktion: 1898.

(A1.2) S. 8 Kerk: ‚Frauenheil‘, unter diesem wohlklingenden Namen versuchen Sie und Ihresgleichen, die Universität zu untergraben!
Der Würzburger Verein Frauenheil wurde 1898 gegründet und setzte sich für höhere Bildung und Erwerbsfähigkeit von Frauen ein. Mitglieder waren Frauen aus dem Adel und gehobenen Bürgertum. Zu seinem Wirken vgl. Kap. 5 Ereignisse in Würzburg.

(A1.3) S. 8 Elisabeth: Wir finden durchaus Gehör an dieser Universität. Ihre Kollegen Professor Lehmann und …
Medizinprofessor Karl Bernhard Lehmann ist historisch belegt. Er und seine Frau, die Mitglied im Verein Frauenheil war, engagierten sich in Würzburg intensiv für die höhere Schuldbildung von Mädchen und den Zugang von Frauen zur Universität. (zu Prof. Lehmann siehe auch A7.3).

(A1.4) S. 8 Elisabeth zu Kerk: Sie sind ein Mann von gestern!
Tatsächlich konnte man zu diesem Urteil auch aus damaliger Sicht kommen. Nach rund 40 Jahren Ringen der bürgerlichen Frauen um Zugang zu Bildung und Berufen in Deutschland markierte das Ende des 19. Jahrhunderts eine Umbruchzeit. Viele Professoren unterstützten ihre Forderung nach Zulassung zu den Universitäten, andere stellten sich weiterhin vehement dagegen. Studien, die die Minderwertigkeit von Frauen nachweisen sollten, wurden teils widerlegt, teils weiterhin als Argument gegen Studium und Berufstätigkeit von Frauen angeführt (vgl. dazu die Anmerkungen zu Szene 7).
Zu den erbittertsten und langjährigsten Gegnern des Frauenstudiums gehörten sowohl in Würzburg als auch deutschlandweit die Juristen. Ab 1908 waren Frauen in allen Bundesländern zum Studium zugelassen, doch erst ab 1922 durften sie juristische Staatsexamina ablegen und juristische Berufe ergreifen, beispielsweise Richterinnen werden. Vgl. Röwekamp (2011).

Szene 2

(A2.1) S 8 Elisabeth: Das Weib denkt! Lange hat es wenig gedacht, wenig gelebt und viel gelitten … Das Weib denkt. Und es fragt: Warum ist das so?
Die Passage besteht aus Zitaten aus Elisabeth Dauthendeys Essay „Die Geschlechter“, erschienen 1894 in in der avantgardistischen Zeitschrift „Die Gesellschaft“. Es ist ihre erste Veröffentlichung.

(A2.2) S. 9 Elisabeth: Ich leide an der Gegenwart – aber mit einem Leid, das tausend Keime zu Freuden in sich trägt für die andern, die nach mir kommen werden. Und ich ahne die Zukunft dieser andern.
Die Passage ist frei zitiert nach Elisabeth Dauthendeys Roman „Vom neuen Weib und seiner Liebe“, der 1900 erschien (zitiert nach der Ausgabe von 1925). Der Roman hat, wie andere Veröffentlichen von Dauthendey aus diesen Jahren (siehe A5.18), die Emanzipation der Frau als zentrales Thema. Er traf offenbar einen Nerv und wurde in acht Auflagen veröffentlicht.

(A2.3) S. 9 Elisabeth: Was sage ich der Wöchnerin? Wie kann ich wissen, ob die Kündigung anfechtbar ist (…)?
Der Verein Frauenheil bot, ebenso wie viele andere Frauenvereine in Deutschland, Rechtsberatung für Frauen an. Zum Verein Frauenheil siehe (A1.2) und Kap. 5 Ereignisse in Würzburg. Zum Rechtsfall, den Elisabeth zu klären versucht, siehe (A6.1).

Szene 4

(A4.1) S. 9 Hannah: Ich pack´s nicht. Timo! Ressortleitung! Den hab ich angelernt! Und was mach ich? Die Rubrik. Damit er seine Reportage schreiben kann! Der kriegt seine Autorenzeile (…).Was hat denn der redigiert in letzter Zeit? Nix. Teamarbeit null.
Eine (regelmäßig erscheinende) Rubrik zu füllen, ist bei den meisten Zeitschriften eine eher undankbare Aufgabe. Reportagen sind anspruchsvoller und in der Branche angesehener. Der Name der Verfasser:innen einer Reportage wird in aller Regel abgedruckt, die sog. Autorenzeile.
In der Redaktion werden die Beiträge üblicherweise von den Kolleg:innen redigiert, d. h. auf inhaltliche und formale Fehler hin gegengelesen.

(A4.2) S. 10 „Gerichtliche Thatbestände und Zeugenaussagen“ von Heinrich Ode, 1778
Fiktive Veröffentlichung

(A4.3) S. 11 Hannah (liest in Elisabeths Notizbuch): „Und mit dem Worte ‚unweiblich‘ ist von jeher jeder Versuch des Weibes, sich von Althergebrachtem loszumachen, in den Bannkreis des Verächtlichen gezogen worden.“ (…) „Der Mann nimmt sich den Platz, den er braucht. Seinem festen Willen werden die Mittel selten versagt.“
Die Passage besteht aus Zitaten aus Elisabeth Dauthendeys Essay „Unweiblich“, erschienen 1895 in der Zeitschrift „Die Gesellschaft“ unter dem Pseudonym Andrea Pauloff.

Szene 5

(A5.1) S. 12 Elisabeth: Ach, Sie haben sich verkleidet?!
Hannah trägt Hosen. Elisabeth mutmaßt, sie habe sich als Mann verkleidet, um nicht aus der Bibliothek geworfen zu werden.

(A5.2) S. 15 Elisabeth: Die Farben!
Elisabeth Dauthendeys Vater, Carl Albert Dauthendey, war ein bekannter Fotograf und Pionier der Fotografie, der u. a. mit farbgebenden Verfahren experimentierte.

(A5.3) S. 15 Elisabeth: Zölibat.
Der Lehrerinnenzölibat legte die Unvereinbarkeit von Ehe und Beruf für Lehrerinnen fest. Vgl. Wikipedia-Artikel de.wikipedia.org/wiki/Lehrerinnenz%C3%B6libat Endgültig abgeschafft wurde das Gesetz erst 1951.
Lehrerin war für bürgerliche Frauen im 19. Jahrhundert eine der wenigen möglichen Berufe, da Lehrerinnen für Mädchenschulen gebraucht wurden.
De facto wurde die Unvereinbarkeit von Ehe und Beruf auch in anderen Bereichen praktiziert. So musste Marcella O´Grady, eine der ersten Frauen, die an der Universität Würzburg (als Gasthörerin) zugelassen wurden, mit ihrer Heirat die Tätigkeit am Zoologischen Institut aufgeben. Vgl. Kaiser (1995).

(A5.4) S. 16 Hannah: Fachartikel für Hirnforschung und psychologische Themen.
Ein reales Vorbild der Zeitschrift, für die Hannah arbeitet, könnte z. B. „Spektrum der Wissenschaft“ sein.

(A5.5) S. 16 Hannah (skeptisch): „Frauenheil“
Der Name klingt für Hannah wegen des Begriffs „Heil“ suspekt, der nicht mehr gebräuchlich und zudem inzwischen durch den Nationalsozialismus vorbelastet ist.

(A5.6) S. 16 Elisabeth: Seit wann dürfen Frauen studieren?
Der Zugang der Frauen zu den Universitäten war international umkämpft und verlief je nach Land unterschiedlich: In den USA etwa konnten Frauen ab 1833 an einigen Universitäten und Colleges studieren. Im deutschsprachigen Raum ließ die Schweiz 1840 als erstes Land Frauen (als Gasthörerinnen) zum Studium zu, 1867 promovierte dort die erste Frau. In Bayern konnten sich Frauen ab 1903 regulär immatrikulieren, in Preußen (als letztes deutsches Bundesland) ab 1908.

(A5.7) S. 18 Elisabeth: Gehorsam schweigend (…) Im engsten Kreis des Hauses. Noch meine Mutter hat so gelebt. (…) Die Männer in Restaurationen begleiten. Alleine reisen. Es ist noch nicht lange her, da galt das für unanständig. Es mussten sich Mutige finden, die sich dem Spott aussetzen.
Frei zitiert nach Dauthendey (1900): Vom neuen Weibe und seiner Liebe. Der Roman beschreibt die Umbruchzeit, in der „das neue Weib“ gegen die herrschenden patriarchalen Verhältnisse aufbegehrt.

(A5.8) S. 19 Elisabeth: Vor einigen Jahren haben wir eine Massenpetition unterstützt. 50.0000 Unterschriften.
Die Unterstützung des Vereins Frauenheil für diese Petition ist fiktiv, die Petition selbst aber historisch belegt: 1865 gründete Louise Otto-Peters in Leipzig den ersten Frauenverein Deutschlands ADF (Allgemeiner Deutscher Frauenverein), dessen zentrales Anliegen der Zugang von Frauen zu Bildung und Beruf war. 1891 sandte der Verein eine Petition mit über 50.000 Unterschriften an den Reichstag. Begleitet von „Heiterkeitsstürmen der anwesenden Parlamentarier“ wurden die darin formulierten Forderungen ohne Debatten abgelehnt. Vgl. Kaiser (1995), S. 6.

(A5.9) S. 19 Elisabeth: Und was machen wir? Wir versuchen es weiter. Stellen Anträge, sprechen mit Professoren. Lassen uns verspotten.
Am Beispiel von Würzburg lässt sich der lange Weg zum Frauenstudium exemplarisch nachzeichnen. Vgl. dazu Kap. 5 „Ereignisse in Würzburg“.
Spott begleitete diesen Weg und schlug den Frauen auch weiterhin entgegen. So erschien etwa 1882 zur 300-Jahrfeier der Würzburger Universität das Spottgedicht „Ein Mitglied der Zukunfts-Universität“ im Würzburger Generalanzeiger. Anlässlich der ersten zugelassenen Studentinnen wurde 1903 im gleichen Blatt eine höhnische Glosse abgedruckt, die die gängigen Vorurteile widerspiegelt. Vgl. Kaiser (1995), S. 4ff.

(A5.10) S. 19 Hannah: Zu Anfang des Studiums waren die Frauen sogar in der Mehrheit. Als ich promoviert hab, waren wir noch die Hälfte. Und als ich weitergemacht hab, war ich die einzige.
Hannah studiert Biologie und Psychologie. Beide Fächer werden (Stand 2023) mehrheitlich von Frauen belegt. Gänzlich anders sieht das Geschlechterverhältnis bei den Professuren aus:

(A5.11) S. 19 Hannah: Weil es immer noch die Frauen sind, die Kinder kriegen.
Tatsächlich geben (u. a. laut der Würzburger Universitätsfrauenbeauftragten Prof. Dr. Brigitte Burrichter) viele Frauen nach der Geburt des ersten Kindes ihre Universitätskarriere auf und steigen aus der Wissenschaft aus. Vgl. www.uni-wuerzburg.de/aktuelles/podcast/gleichstellung-gleichberechtigung-chancengleichheit/ ab Min. 18:34.
Die Wissenschaftlerin Ellis C. Johannsonn beschreibt die Ursachen so: „(Für viele Nachwuchsforscherinnen) fallen die Phasen der wissenschaftlichen Qualifizierung und Familiengründung zusammen. Vor allem Frauen machen angesichts der Doppelbelastung Abstriche im Beruf, und hochqualifizierte Wissenschaftlerinnen fallen von der Karriereleiter oder bleiben kinderlos. Statistiken belegen dies. Im universitären Mittelbau, der ersten Stufe der wissenschaftlichen Karriere, liegt die Kinderlosenquote bei über 70 Prozent. Hauptgründe dafür sind neben der ökonomischen und beruflichen Unsicherheit der Erfolgs- und Konkurrenzdruck und die unklaren Arbeitszeiten durch abendliche Sitzungen sowie Kongresse und Auslandsaufenthalte.“ Ellis C. Johannsonn: Der Spagat zwischen Forschung und Familie. Wochenzeitung „der Freitag“ (Community) 2021: www.freitag.de/autoren/ellis-c-johannsonn/der-spagat-zwischen-forschung-und-familie

(A5.12) S. 19 Und ich konkurriere dann mit den Jungs, in denen sich der Herr Professor spiegelt, weil er sein jüngeres Ich in ihnen sieht.
Rein rechtlich haben Frauen und Männer die gleichen Chancen in Bewerbungs- und Berufungsverfahren. Dass in der Realität jedoch Verzerrungseffekte und unbewusste Vorurteile wirken, darauf weisen zahlreiche Studien hin. Eine Auswahl listet die Universität Köln: gb.uni-koeln.de/gleichstellung_uzk/stellenbesetzungs__und_berufungsverfahren/berufungsverfahren/chancengerechte_personalauswahl/index_ger.html
Auch in anderen Berufen findet sich dieser „Gender Bias“, etwa bei Bewerbungen um einen Ausbildungsplatz. Vgl. Wirtschaftswoche 2019: „Personaler bewerten Frauen im Schnitt eine Note schlechter“ www.wiwo.de/erfolg/jobsuche/studie-personaler-bewerten-frauen-im-schnitt-eine-note-schlechter/23910292.html

(A5.13) S. 19 Hannah: … aber das eigentlich Schlimme ist, dass ich selbst nicht dran geglaubt habe.
Viele Studien wie auch Vergleiche zwischen Ländern weisen darauf hin, dass Geschlechter-Stereotype Einfluss auf die Einschätzung der eigenen Leistungsfähigkeit haben. So stellt etwa ein OECD-Bericht von 2015 für das Fach Mathematik fest: „Die Geschlechterdifferenzen begründen sich (…) nicht durch angeborenes (Un)Vermögen, sondern vielmehr durch eine erworbene Haltung gegenüber der Materie, der Schule, beziehungsweise dem Lernen ganz allgemein.“ www.oecd.org/berlin/presse/gepraegte-verhaltensmuster-begruenden-unterschiedliche-leistungen-von-jungen-und-maedchen.htm

(A5.14) S. 20 Elisabeth: Ich arbeite nicht mehr als Lehrerin. Ich habe die letzten Jahre meinen Vater gepflegt, bis er gestorben ist.
Das entspricht der Biografie von Elisabeth Dauthendey, die, wie unverheiratete Frauen häufig, im Elternhaus blieb. Erst als der Vater gestorben war, begann sie zu schreiben und zu veröffentlichen. Zum Zeitpunkt ihrer ersten Publikation („Die Geschlechter“ 1894) war sie 40 Jahre alt.

(A5.15) S. 20 Elisabeth: Ja, ich könnte jetzt heiraten. Wenn ich 20 Jahre jünger wäre.
Dies entspricht der Biografie und den gesellschaftlichen Verhältnissen Elisabeth Dauthendeys, die unverheiratet blieb. Im Jahr 1898 war sie 44 Jahre alt. Frauen, die älter als etwa 25 Jahre waren, hatten es sehr schwer, noch einen Partner zu finden, im Gegensatz zu Männern. Elisabeth Dauthendey thematisiert diese gesellschaftlichen Normen und das Aufbegehren dagegen in mehreren Schriften:

  • „Ich war nun dreißig Jahre. Also eigentlich alt für ein Weib. Aber auch das ist anders am neuen Weibe. (…) Nicht lebendig sich selbst verschütten aus feiger Furcht vor den Spöttern, die auf dem Markte des Lebens nur die roten Wangen und die Erstlingshaut der ersten Jugend finden wollen.“ (Dauthendey 1900, Vom neuen Weibe und seiner Liebe)
  • „Sie ist alt – sie ist tot. Aber der Mann wird nicht alt, d. h. sein Recht auf das Leben geht mit ihm durch alle Phasen, biegt und schmiegt sich nach seinen Bedürfnissen, aber es bleibt immer dasselbe Recht.“ (Dauthendey 1994, Die Geschlechter)

(A5.16) S. 20 Der neue Mann ist noch nicht da. Er ist noch bei dem Weibe von gestern.
Zitat aus Dauthendey (1900), Vom neuen Weibe und seiner Liebe.

(A5.17) S. 21 „Mein Vater ging stolz und gerade seinem Willen nach und meine Mutter betete seinen Willen an. Dafür küsste sie mein Vater und trug sie auf Händen durchs äußere Leben. Aber neben seiner Glut und Zärtlichkeit hatte jene verächtliche Geringschätzung gegen alles, was über ihrer Geschlechtswesenheit lag, ganz gemächlich Platz, welche eben gerade die große Hässlichkeit des Mannes ist, die das Weib von heute nicht mehr ertragen will.“
Zitat aus Dauthendey (1900), Vom neuen Weibe und seiner Liebe.

(A5.18) S. 21 Elisabeth: Essays in Zeitschriften. Gerade schreibe ich einen neuen Roman.
Dies entspricht nicht exakt den Publikationsdaten Elisabeth Dauthendeys. Tatsächlich sind die Essays „Die Geschlechter“ 1894 und „Unweiblich“ 1895 ihre ersten Veröffentlichungen. 1898 folgte der Roman „Im Lebensdrange“ und 1900 „Vom neuen Weibe und seiner Liebe“. Mit dessen Fortsetzung „Vivos voco“ erschien 1908 die fünfte Publikation, in der sie sich explizit mit der Situation der Frau und dem Aufbrechen patriarchaler gesellschaftlicher Normen auseinandersetzte.

(A5.19) S. 22 Hannah: Zum Beispiel hab ich das Gefühl – oder die sehr deutliche Ahnung, dass alle männlichen Kollegen mehr Geld kriegen als ich.
Was Hannah anekdotisch beschreibt, wird als gesellschaftliches Phänomen u. a. unter dem Begriff „Gender Pay Gap“ diskutiert. Vgl. de.wikipedia.org/wiki/Gender-Pay-Gap
Vgl. auch die Anmerkungen zur Entgeltgleichheit in (A7.1).

(A5.20) S. 22 Elisabeth: Wir stellen immer wieder Anträge, Frauen studieren zu lassen. Und sie werden immer wieder abgelehnt mit der Begründung, dass die Frauen kein Absolutorium haben.
Zum langen Ringen um den Zugang der Frauen zum Universitätsstudium, exemplarisch am Fall Würzburg, siehe Kap. 5.
Tatsächlich war es eine wiederkehrende Strategie, den Frauen wegen fehlender Qualifikation (Absolutorium, der heutigen Hochschulreife entsprechend) den Zugang zu verwehren, wohl wissend, dass sie diese Qualifikation deutschlandweit noch kaum erhalten konnten. Vgl. dazu Kaiser (1995).

(A5.21) S. 23 Elisabeth: Den Männern gleichgestellt. Das heißt, die Frauen stehen jetzt da …
Hannah: … wo früher nur die Männer standen. Sozusagen.
Elisabeth: Das heißt, die Männer stehen da, wo sie immer standen.
Hannah: Nein – die Männer haben sich schon auch bewegt. Wobei. Wenn du mich jetzt fragst, wer sich mehr bewegt hat …
Elisabeth: Der Ort, wo ihr steht. Vielleicht ist es der falsche.
Kritik am Begriff und Konzept der Gleichstellung übt u. a. die Politikwissenschaftlerin und Feministin Antje Schrupp:
„Ich denke (…), es ist an der Zeit, den Terminus „Gleichstellung“ grundsätzlich in Frage zu stellen. Denn allein dieses Wort bedeutet schon eine Kapitulation aus Sicht der weiblichen Freiheit. (…) Ganz automatisch haben wir uns angewöhnt, den Maßstab für die Frauen dort anzulegen, wo die Männer sind. Das, was sie machen, ist normal. Und die Frauen müssen sich dem angleichen – solange das nicht gelingt, liegt etwas im Argen.“ (Antje Schrupp: Die Freiheit der Frauen in einer gleichgestellten Welt. Vortrag 2009 www.antjeschrupp.de/gleichstellung)
Die italienische Philosophin Luisa Muraro formuliert das Dilemma der neueren Frauenbewegung so: „Wir wollten die Welt verändern, und sie haben uns die Gleichstellung angeboten.“ (Luisa Muraro: Macht und Politik sind nicht dasselbe. Interview vom 26.6.2011. Zitiert nach Tamara Funiciello: ch2021.ch/testimonials/)

(A5.22) S. 24 Elisabeth: Weil wir in unserem Verein auch Rechtsberatung anbieten. Eine Arbeiterin war bei mir. Ich wollte herausfinden, ob ich etwas für sie tun kann.
Viele Frauenvereine der damaligen Zeit boten Rechtsberatung an, u. a. in Scheidungsfällen, für Arbeiterinnen und arme Frauen. Vgl. Kap. 3 Fakten und Fiktion.

(A5.23) S. 25 Hannah (zitiert aus Elisabeths Notizbuch):
„Warum ist das Leben ein ganz anderes Ding für das Weib als für den Mann?“
Zitat aus Dauthendey (1994), Die Geschlechter.
„Sie müssen sich erst zueinander bewegen. Das Weib hat den ersten Schritt dazu getan.“
Frei zitiert nach Dauthendey (1900), Vom neuen Weibe und seiner Liebe (wörtliches Zitat: „Sie müssen sich erst zueinander entwickeln. Das Weib hat den ersten Schritt dazu getan.“)

(A5.24) S. 25 Hannah: Klar. Den Männern gleichgestellt. Das ist ja schon im Ansatz falsch. (…) Das muss neu verhandelt werden. Die Welt. Wie wir arbeiten wollen, wie wir leben wollen. Alles.
Auf verschiedene Aspekte dieser „Neuverhandlung“ gehen gegenwärtig auch Publikationen in Bestseller-Auflagen ein, so etwa der Sammelband „Unlearn Patriarchy“, hrsg. von Lisa Jaspers, Naomi Ryland und Silvie Horch, der u. a. die Bereiche Arbeit, Wissenschaft, Familie, Bildung und Politik untersucht, sowie „Alle Zeit. Eine Frage von Macht und Freiheit“ (2022) von Teresa Bücker, die die ungleiche Verteilung von Zeit in der Gesellschaft thematisiert und eine neue Zeitkultur vorschlägt.

(A5.25) S. 25 Richter: Aber zum einen gibt es da ein Konzept des Deutschen Juristinnenbundes, das Sie interessieren könnte.
Der djb (Deutscher Juristinnenbund) veröffentlichte 2021-2023 das Konzept eines Gleichstellungsgesetzes für Privatunternehmen sowie eine Checkliste, mit der Privatfirmen den Stand ihrer Geschlechtergerechtigkeit prüfen und weiterentwickeln können. Vgl. djb (2021) und djb (2020), Folge 19 „Geschlechtergerechte Unternehmenskultur durch Recht?“ www.djb.de/podcast/detail/folge-19-november-2021-geschlechtergerechte-unternehmenskultur-durch-recht

Szene 6

(A6.1) S. 27 Elisabeth: Gulpe hat die Kündigung zurückgezogen!
Es ist schwer, in der Dokumentation zu den Frauenvereinen einen konkreten Rechtsfall zu finden, in dem die Frauen damals beratend tätig waren. Vermutlich wäre dies nur durch aufwändige Archivarbeit möglich. Der geschilderte Fall ist fiktiv, hat aber realistische Grundlagen. Er basiert auf der Gewerbeordnung für das Deutsche Reich von 1894 (siehe dort unter „Wöchnerinnen“): www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb11633789?page=495 Tatsächlich war der Mutterschutz einige Jahre zuvor von vier auf sechs Wochen erweitert worden. Die von Elisabeth geschilderte Rechtslage entspricht der Situation 1898.

(A6.2) S. 28 Lehmann: Die Antwort des Ministeriums!
Der Verlauf ist den Ereignissen in Würzburg nachempfunden, siehe Kap. 5.

(A6.3) S. 28f. Nun werden aber Lehrer von jeher unbeanstandet zum
Besuch von Vorlesungen zugelassen … Hochachtungsvoll!!
Der Brief enthält Zitate des Schreibens des Würzburger Vereins Frauenheil an das Ministerium 1899. Siehe Kap. 5.

Szene 7

(A7.1) S. 30/31 Andreas: Hannah, das ist Verhandlungssache. (…) Erik ist … perspektivisch sehe ich für ihn …
In einem vergleichbaren Fall fällte das Bundesarbeitsgericht im Februar 2023 ein wegweisendes Urteil, in dem klargestellt wurde, dass Verhandlungsgeschick kein alleiniger Grund für das höhere Gehalt eines Mannes gegenüber einer weiblichen Kollegin sein darf.
Geklagt hatte eine Frau, die im Vergleich zu zwei männlichen Kollegen auf derselben Position weniger verdiente. Details siehe u. a. www.lto.de/recht/hintergruende/h/bag-grundsatzurteil-8azr45021-beruf-entgeltgleicheit-mann-frau-equal-pay/
Im Bereich des Journalismus erfuhr der jahrelange Rechtsstreit von Birte Meier gegen das ZDF eine breite Öffentlichkeit, die wegen höherer Bezahlung ihrer männlichen Kollegen geklagt hatte. Details siehe u. a. www.lto.de/recht/hintergruende/h/birte-meier-klage-zdf-gff-entgelttransparenz-vergleich/

(A7.2) S. 31 Elisabeth: Die Antwort des Ministeriums ist da. Der Senat möge selbst entscheiden, ob Frauen zugelassen werden.
Tatsächlich bat das Ministerium 1903 die Bayerischen Universitäten um Stellungnahme bzgl. der generellen Aufnahme von Frauen zum Studium. Das positive Votum des Würzburger Senats gab den Ausschlag, Frauen zur Immatrikulation zuzulassen. Siehe Kap. 5.

(A7.3) S. 31 Kerk: … Frauen sind für die Wissenschaft nicht gemacht. Das ist wissenschaftlich belegt!
Tatsächlich gab es mehrere wissenschaftliche Studien, die den Nachweis einer intellektuellen Unterlegenheit der Frauen gegenüber den Männern erbringen sollten, alternativ auch die Schädlichkeit von intellektueller Anstrengung für Frauen und ihre Gebärfähigkeit. Auch nach Widerlegung dieser Studien wurden diese noch lange von Gegnern des Frauenstudiums als Argument eingesetzt. Vgl. z. B. Röwekamp (2011) für das Fach Jura und Frauen in juristischen Berufen.
S. 31 Kerk: Das Hirngewicht des Weibes ist kleiner als das des Mannes.
Diese These wurde von mehreren Wissenschaftlern aufgestellt. Frauen hätten ein kleineres Gehirngewicht und seien deswegen weniger intellektuell. Vgl. Kaiser (1995) und Röwekamp (2011).
S. 31 Elisabeth: Sie wissen, was Ihr Kollege Lehmann von dieser Studie hält?
Der Würzburger Medizinprofessor Lehmann hatte in Zürich studiert, wo Frauen bereits seit 1840 zum Studium zugelassen waren. Er berichtete von seinen positiven Erfahrungen in einem Artikel 1898 und kritisierte die Studien, auf die die Gegner des Frauenstudiums sich beriefen, scharf: „In naiver Weise suchte man schon vor längerer Zeit (…) auf grob anatomischem Wege durch Vergleichung der Hirngewichte von Männern und Frauen sich eine objektive Antwort darüber zu verschaffen, von welchem Geschlecht mehr geistige Leistungen zu erwarten seien. (…) Als auf diese Weise die Minderbegabtheit der Frau sich nicht nachweisen ließ, versuchte man die Anatomie im Bunde mit der Physiologie in der Weise gegen das Frauenstudium ins Feld zu führen, daß man hervorhob, der zartere Körper der Frau sei den Anstrengungen des Studiums kaum, noch weniger aber den Anforderungen der meisten Männerberufe gewachsen. Wer fragt denn bei der Immatrikulation danach, ob unsere Studenten schwerhörig, herzleidend, augenleidend oder nervös sind, und wer kümmert sich darum, ob sie durch Studien oder, was leider häufig der Fall ist, durch Alkohol oder andere Schädlichkeiten ihre Gesundheit zerstören!“ (Zitiert nach Kaiser 1995, S. 6.)
S. 32 Frauen urteilen subjektiv und lassen sich von Gefühlen leiten. Sie schwanken in ihrem Urteil. Ihre Entscheidungskraft ist schwach.
Diese Behauptungen wurden u.a. gegen die Tätigkeit von Frauen als Richterinnen eingesetzt. Vgl. Röwekamp (2011).

(A7.4) S.32 Elisabeth: Professor Tein ist nun auch auf unserer Seite. Damit steht es fünf zu fünf im Senat.
Die Pattsituation im Würzburger Universitätssenat ist fiktiv. Zum Ablauf der Ereignisse in Würzburg siehe Kap. 5.

(A7.5) S. 32 Kerk: Unsere Universitäten sind Männeruniversitäten! Sie entsprechen dem männlichen Geist.
Frei zitiert nach dem Berliner Rechtsprofessor Otto von Gierke: „Unsere Universitäten sind Männeruniversitäten. Sie sind (…) in ihrem ganzen inneren Leben dem männlichen Geist angepasst.“ Zitiert nach Röwekamp (2011), S. 39.
S. 33 Frauen denken unsystematisch aufgrund der Drüsenfunktion.
Diese These wurde u. a. als Argument gegen die Fähigkeit von Frauen ins Feld geführt, juristische Berufe zu ergreifen. Wegen der Drüsenfunktion würden Frauen eine höhere Erregbarkeit aufweisen, die auf den Willen übergriffe, weswegen es ihnen schwer fiele, Entschlüsse zu fassen und Verantwortung zu übernehmen. Vgl. Röwekamp (2011).
S. 33 Uterus und Menstruation führen zu einer höheren Erregbarkeit!
Diese These wurde von mehreren Medizinern aufgestellt, u. a. vom Psychiater und Neurologen Paul Julius Möbius. Sein Essay „Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes“ erschien erstmals 1900 im Zuge der Debatte um die Zulassung von Frauen zum Medizinstudium. Möbius stellte die These auf, Frauen hätten von Natur aus eine geringere geistige Begabung als Männer. Vgl. auch de.wikipedia.org/wiki/%C3%9Cber_den_physiologischen_Schwachsinn_des_Weibes

(A7.6) S. 34 Andreas: Dafür (für die Chefredaktion) muss man mit ganzer Kraft dabei sein.
Hannah: Und ich bin nicht mit ganzer Kraft dabei, weil ich Teilzeit arbeite?
Andreas‘ Argument ist einem realen Fall nachempfunden, der 2016 für Debatten sorgte. Die damalige Chefredakteurin des Modemagazins Grazia, Claudia ten Hoevel, wollte nach der Elternzeit ihren Posten wieder aufnehmen und diesen 12 Monate in Teilzeit ausüben. Bülend Ürük, Chefredakteur von kress.de, schrieb daraufhin einen Artikel, in dem er die Frage stellte: „Kann eine Kaufzeitschrift in Teilzeit geführt werden? Oder braucht eine Redaktion doch eine Führungskraft, die mit ganzer Kraft an Bord ist?“ Der Artikel und insbesondere die Unterstellung, eine Teilzeitführungskraft mit Kind sei nicht „mit ganzer Kraft an Bord“, führte zu heftiger Kritik in Medien und sozialen Netzwerken und zu einer Debatte um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Journalismus. Vgl. dazu u. a. Nicola Wessinghage auf inkladde.org: inkladde.blog/2016/08/20/vereinbarkeit-im-journalismus/

(A7.7) S. 35 Hannah: Eine Checkliste für Unternehmen, die mit der Gleichstellung vorankommen wollen.
Diese Checkliste existiert tatsächlich und wurde vom Deutschen Juristinnenbund erstellt. Siehe dazu (A5.25).

(A7.8) S. 35 Kerk: Die Universität wird auf eine mittlere Ebene herabgleiten! (…) Es wird etwas Halbes dabei herauskommen.
Frei zitiert nach dem Berliner Rechtsprofessor Otto von Gierke. Ihm zufolge würde die Universität bei Zulassung von Frauen „auf eine mittlere Linie herabgleiten. Es wird etwas Halbes herauskommen. Das strenge Rüstzeug der strengen Wissenschaft wird mehr und mehr aus dem Unterricht verwiesen, der schöne Schein bevorzugt, die Denkarbeit vereinfacht werden.“ Zitiert nach Röwekamp (2011), S. 39.

(A7.9) S. 36 Kerk: Soll das Weib das sein, wozu die Natur es bestimmt hat, so darf es nicht mit dem Manne wetteifern!
Wörtliches Zitat aus Möbius: Über den physiologischen Schwachsinn der Weiber, Halle 1908. Zitiert nach Röwekamp (2011), S. 339f. Zu Möbius siehe auch (A7.5).

(A7.10) S. 37 Kollegin 1: Gegenfrage. Warum gibt’s hier eigentlich immer noch kein Jobsharing?
Jobsharing, auch „Topsharing“ für Führungspositionen, ist eines der Arbeitsplatzmodelle, die auf Teilzeit basieren. Vgl. de.wikipedia.org/wiki/Arbeitsplatzteilung
Kollegin 3: Was soll an Vollzeitjobs normal sein?
U. a. die Journalistin Teresa Bücker stellt in ihrem Buch „Alle Zeit. Eine Frage von Macht und Freiheit“ das Vollzeitmodell als Normalität in Frage und weist auf die Überlastung der Frauen als Konsequenz hin, die weiterhin mehrheitlich die Hauptlast der (unbezahlten) Care-Arbeit tragen. Ebenso plädiert Franziska Schutzbach in „Die Erschöpfung der Frauen“ für eine neue Zeitpolitik.
Vgl. dazu auch Caroline Rosales: „Oft habe ich das Gefühl, dass für meine Generation von Frauen die Vollzeitberufstätigkeit mit Kindern ein Dauerabo ins Losertum ist. Es wird gerannt, gehetzt, entschuldigt, verschoben. Man wird weder den Kindern noch dem Job gerecht, und am Ende sitzt man todmüde auf der Couch und sucht noch den Fehler bei sich statt im System.“ (Caroline Rosales, alleinerziehende Mutter, in www.spiegel.de/karriere/caroline-rosales-alleinerziehende-single-mom-autorin-ueber-tinder-und-kinder-a-1219741.html)
Kollege 5: Und warum werde ich blöd angemacht, wenn ich die Elternzeit mit meiner Frau teilen will?
Wissenschaftlich belegt ist die Frage, ob Elternzeit bei Vätern von Arbeitgebern weniger akzeptiert wird, nicht. Anekdotisch weisen viele Schilderungen darauf hin. Laut der „Vermächtnisstudie“ 2023 sind „Normen und Erwartungen in der Arbeitswelt (…) eine maßgebliche Hürde für ein stärkeres väterliches Engagement bei der Betreuung und Erziehung von Kindern. (…) Nach den beruflichen Konsequenzen einer zwölfmonatigen Elternzeit gefragt, erwarten in etwa die Hälfte der Personen im Alter von 23-65 Jahren in Deutschland negative Karriereauswirkungen für Väter (…)“. www.zeit-verlagsgruppe.de/wp-content/uploads/2023/05/Ergebnisse-aus-der-Vermaechtnisstudie-2023_Presse_Langversion-1.pdf
Kollegin 1: Warum soll ich dankbar sein dafür, dass ich jetzt beide Arbeiten machen darf, die bezahlten im Job und die unbezahlten zu Hause?
Diese Frage spricht die ungleiche Verteilung der unbezahlten Sorgearbeit, den sog. Gender Care Gap, an: Kindererziehung, Pflege von Angehörigen, Hausarbeit und Ehrenamt werden zu einem deutlich höheren Anteil von Frauen als von Männern geleistet. Vgl. dazu u. a. das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: „Gender Care Gap – ein Indikator für die Gleichstellung“. www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/gleichstellung/gender-care-gap/indikator-fuer-die-gleichstellung/gender-care-gap-ein-indikator-fuer-die-gleichstellung-137294

(A7.11) S. 37 Kerk: Unser Recht ist Männerrecht. Es ist nur folgerichtig, dass es von Männern ausgeübt wird!
Diese Passage ist einem Zitat nachempfunden, in dem ein Richter in der Deutschen Tageszeitung 1922 gegen Frauen als Richterinnen argumentiert: „Männerrecht ist unser Recht – eben weil es Kulturgut ist. (…) Haben wir aber ein solches Männerrecht, so ist es nur folgerichtig, wenn das Recht (…) ausgeübt wird von den Männern. (…) Die Übertragung des Richteramts an Frauen kann bei Berücksichtigung des in unserem Rechte herrschenden Geistes nur als anorganisch und daher nicht lebensfördernd empfunden werden.“ Deutsche Tageszeitung 1922. Zitiert nach Röwekamp 2011, S. 349f.)

5 Exemplarisch: Die Ereignisse in Würzburg

Das Ringen um Zugang der Frauen zur Universität dauerte rund 40 Jahre. Am Fall Würzburg lässt sich der lange Weg dahin illustrieren:

Vorgeschichte

1869 sandte der „Central-Vorstand des Allgemeinen Vereins für Volkserziehung und Verbesserung des Frauenloses“ einen Brief an den „erleuchteten akademischen Senat der Königlichen Universität in Würzburg mit der Bitte um Zulassung von weiblichen Studierenden zu den freien Wissenschaften“. Der Antrag wurde abgelehnt.

In den Folgejahren stellten einzelne Frauen, die meist bereits in anderen Ländern studiert hatten, immer wieder Anträge auf Zulassung. 1896 wurde erstmals das Gesuch der Amerikanerin Marcella O´Grady bewilligt, die sieben Jahre als Professorin an amerikanischen Frauen-Universitäten tätig gewesen war, am Würzburger Zoologischen Institut zu forschen (zu Marcella O’Grady vgl. in den Anmerkungen zu den Szenen A 5.3).

1899 wurde mit Jenny Danziger die erste Frau zum Studium (der Medizin) zugelassen, wenn auch mit Gasthörerinnenstatus. Diese Entscheidung hatte Signalwirkung:

Der Verein Frauenheil

Noch im gleichen Jahr beantragten Mitglieder des Vereins Frauenheil, darunter Elisabeth Dauthendey, als Gasthörerinnen an einer Philosophie-Vorlesung teilzunehmen.

Der Verein Frauenheil war 1898 gegründet worden. Mitglieder waren Frauen aus dem Adel und gehobenen Bürgertum. Ziel war die höhere Bildung und Erwerbsfähigkeit. Organisiert wurden zunächst Vortragsreihen an der Universität, die separat vom regulären Betrieb von Professoren gehalten wurden, welche dem Verein und seinen Zielen wohlgesonnen gegenüberstanden. Diese Vorgehensweise erwies sich als geschickt, denn so etablierte man ohne große Aufmerksamkeit der Gegner einen ersten Schritt in Richtung Universitätszugang.

Nach der Bewilligung von Jenny Danzigers Gesuch beantragten 13 Mitglieder des Vereins, darunter Elisabeth Dauthendey, die Teilnahme an einer regulären Vorlesung in Philosophie.

Gegen diesen Antrag regte sich Widerstand. Der Senat der Universität bat schließlich das Ministerium um Entscheidung. Dieses reagierte mit der Aufforderung, die Frauen sollten einen entsprechenden Vorbildungs-Nachweis erbringen – was diese nicht konnten, da ihnen diese Vorbildung (ein höherer Schulabschluss) verwehrt war. Als ein weiterer Antrag mit der gleichen Aufforderung beschieden wurde, reagierten die Frauen mit einem erbosten Brief. Nach monatelangem Zögern stimmte das Ministerium schließlich dem Antrag zu.

Seither wurden regelmäßig Frauen zu Vorlesungen zugelassen, allerdings jeweils auf Antrag und lediglich mit Gasthörerstatus.

Bayernweite Zulassung

1903 bat das Ministerium die Bayerischen Universitäten um Stellungnahme bzgl. der generellen Aufnahme von Frauen zum Studium. Das Votum aus Erlangen und München war uneindeutig. Das positive Votum aus Würzburg gab den Ausschlag, ab 1903 Frauen zur Immatrikulation zuzulassen.

Ausführliche Informationen zum Fall Würzburg bei Kaiser (1995) und Echter (1996). Zum geschichtlichen Kontext im euro-amerikanischen Raum siehe Patu/Schrupp (2015).

6 Weiteres Begleitmaterial

Weiteres Begleitmaterial zum Stück findet sich auf www.pics4peace.de/tagebuch/detailansicht/news/hannah-und-elisabeth.

Auf Youtube steht ein Live-Mitschnitt der Uraufführung zur Verfügung: www.youtube.com/watch?v=jhxqYxdKRdQ.

Eine ausführliche Fassung des Interviews mit der Autorin Ulrike Schäfer zu „Hannah & Elisabeth“ ist auf www.ulrike-schaefer.de/aktuell/interview-theaterstueck-hannah-elisabeth/ abrufbar.

Hinweise zur Verwendung in der Schule finden sich unter Hannah & Elisabeth – Lehrplanbezüge.

7 Quellen

Dauthendey (1894): Elisabeth Dauthendey, Die Geschlechter. Essay in der Zeitschrift „Die Gesellschaft“, Hrsg. Michael Georg Conrad. Neu abgedruckt in Elisabeth Dauthendey (2023)

Dauthendey (1995): Elisabeth Dauthendey, Unweiblich. Essay in der Zeitschrift „Die Gesellschaft“, Hrsg. Michael Georg Conrad, unter dem Pseudonym Andrea Pauloff. Neu abgedruckt in Elisabeth Dauthendey (2023)

Dauthendey (1900): Elisabeth Dauthendey: Vom neuen Weibe und seiner Liebe. Die Zitate stammen aus der Ausgabe von 1925, die online unter www.elisabeth-dauthendey.de/Elisabeth_Dauthendey_Weib_Liebe/ verfügbar ist.

Dauthendey (2023): Elisabeth Dauthendey, Das Weib denkt. Essays, Novellen, Gedichte und Märchen einer frühen Frauenrechtlerin. Hrsg. von Würzburg liest ein Buch e. V. Würzburg (Königshausen & Neumann) 2023.

Echter (1996): Frauen in Würzburg. Stadtführer und Lesebuch. Hrsg. Gleichstellungsstelle für Frauen der Stadt Würzburg. Würzburg (Echter) 1996.

Kaiser (1995): Gisela Kaiser, Spurensuche. Studentinnen und Wissenschaftlerinnen an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg von den Anfängen bis heute. Würzburg (Max Schimmel Verlag) 1995. Ausleihbar u. a. in der Stadtbücherei Würzburg.

Röwekamp (2011): Marion Röwekamp, Die ersten deutschen Juristinnen: Eine Geschichte ihrer Professionalisierung und Emanzipation (1900-1945). Köln (Böhlau) 2011.

Patu/Schrupp (2016): Patu (Comic) / Antje Schrupp (Text), Kleine Geschichte des Feminismus im euro-amerikanischen Kontext. Sachcomic. Münster (Unrast), 3. Aufl. 2016. unrast-verlag.de/produkt/kleine-geschichte-des-feminismus/

Weitere Quellen zu Detail-Themen des Stücks sind in den Anmerkungen zu den Szenen angegeben.

Eine ausführliche Fassung des Interviews mit der Autorin Ulrike Schäfer zu „Hannah & Elisabeth“ ist auf www.ulrike-schaefer.de/aktuell/interview-theaterstueck-hannah-elisabeth/ abrufbar.

Download des Begleitmaterials als PDF-Datei:
Hannah & Elisabeth – Begleitmaterial.pdf